ANDREAS KORTE
WORK TEXT BOOK CV CONTACT

Andreas Korte: Fragmente für H.

Einführung von Anja Rumig

 

Andreas Korte lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Düsseldorf. Ursprünglich stammt er aus Augsburg, wo er 1969 zur Welt kam. Nach einer halbjährigen Vorbereitungszeit an der Freien Kunstschule Stuttgart, nahm er 1991 sein Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie zunächst bei Jan Dibbets auf und schloss es als Meisterschüler von Gerhard Merz mit dem Akademiebrief 1998 ab.

Bereits nach wenigen Semestern des Malereistudiums beginnt er, seine künstlerischen Ideen über die Malerei hinaus, auch in anderen Genren zu realisieren, zunächst in Videoproduktionen, dann in Kompositionen elektronischer Musikstücke, in visionären, zum Teil animierten Architekturmodellen und im Bereich der Skulptur. Die Erfahrungen, die er im Umgang mit den unterschiedlichen Techniken und deren speziellen Erfordernissen machte und nach wie vor macht, wirken konstruktiv aufeinander ein und prägen das Vokabular und die Gestaltungsart auch seiner Malerei. Der Interaktion verschiedener Techniken entspricht die in seinen Arbeiten häufig zum Ausdruck kommende Heterogenität sowohl von Zeitebenen als auch Bedeutungsträgern, die Vorliebe auch für Spiel und Experiment und die Zusammenführung von Polaritäten, seien sie inhaltlicher oder formaler Art.

 

Andreas Korte ist ein Konzeptionalist, ein Planer, der seine Arbeiten in längeren Zeiträumen zunächst einmal gedanklich entwickelt. Dies äußerst sich beispielsweise in seiner Malerei in Form einer strengen Anordnung der Bildelemente einerseits bei gleichzeitiger Akzentuierung tonaler und substantieller Eigenschaften der Farbe und ihrer dadurch bedingten Möglichkeiten andererseits. „Was ich versuche“, so beschreibt es der Künstler selbst, „ist eine Balance herzustellen aus Geplantem und sich aus der Malerei Entwickelndem“ sowie eine Balance zwischen absichtsvoll Unfertigem und der Idee des Vollendeten. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Erkennbarkeit der vielen Schichtungen, mittels derer Kortes Bilder prozessual entstehen, da sich gerade im Prozess die Idee, um deren Materialisation es geht, am deutlichsten äußert und das Moment des absichtsvoll Unfertigen am unmittelbarsten in Erscheinung tritt.

 

Seine heute zu eröffnende Präsentation nennt er „Fragmente für H.“ Wie es dazu kommt, bedarf einer kurzen Erzählung: Nachdem ich Andreas Korte gefragt hatte, ob er mit mir zusammenarbeiten wolle, schrieb er mir, es gefiele ihm an meinem Galerieprogramm besonders gut, dass ich immer wieder auch klassische Positionen zeige, um sie mit zeitgenössischen in einen Dialog treten zu lassen. Dass ich unter anderen den von ihm persönlich sehr geschätzten Hans Hartung vertrete und stets einige Arbeiten dieses Künstlers in meinen Beständen führe, entzündete bei Andreas Korte sogleich die Idee, eine Ausstellung für meine Galerie zu konzipieren, die dem bereits in den 30er Jahren nach Frankreich exilierten deutschen Maler und Haupt-Mitbegründer des Informel gewidmet sein sollte – ist es doch einer der wesentlichen Reflektionskomplexe Kortes, die Vorgehensweise des eigenen Gestaltens im Spiegel der Historie zu überprüfen, Bedeutungsträger von heute und einst zu vergleichen, wo möglich, auch als Mutanten miteinander zu verquicken. Denn, so Kortes Überzeugung:

„Man muss die Quellen kennen, wo etwas herkommt. Wenn man das nicht weiß, wird man nie etwas schaffen, was eine Bedeutung hat.“

Hans Hartungs Oeuvre kennzeichnet sich unterer anderem durch seinen speziellen Einsatz der Linie, insbesondere aber auch durch die Dominanz von Schwarz in seiner Hauptmotivik. Dieser Eigen-schaft trägt Andreas Korte in seinen gerade für diese Ausstellung entstandenen Arbeiten Rechnung, indem er der Farbe Schwarz einen besonderen Wirkungsraum einräumt, wie zum Beispiel in unserem Titelbild „Fragment für H.“, gleich im vordersten Raum der Galerie, dessen starke Horizontalität darüber hinaus an die friesartigen Kompositionen von Hartung angelehnt ist; oder im Gemälde „Ballet Russe“, hier zu meiner Rechten, als eine verspielte Reminiszenz an die Einführung der russischen Moderne nach Europa durch Sergei Djagilew zu Beginn des 20. Jahrhunderts; oder in dem kleinen Gemälde „Säule“ innerhalb der Vierergruppe mir gegenüber, das mit seinem zentralen Motiv einer senkrechten Abfolge gleich gestalteter Rauten auch Brancusis „Unendliche Säule“ aus den 1920er Jahren ins Bewusstsein rückt. Und auch die in ihrem Bildherstellungsverfahren ganz neue Serie der C-Prints, die wir im mittleren Raum präsentieren, charakterisiert sich durch einen gezielten Einsatz von Schwarz, der die hervortretenden, farbstrukturierten Bildpartien in ihrer Suggestionskraft immens steigert.

 

Eine weitere, Hans Hartung gewidmete Arbeit ist die dreiminütige 3D-Animation mit dem Titel „Villa“ auf dem Tisch, ebenfalls im mittleren Raum, der einst mein Galerietisch gewesen ist und inzwischen von Andreas Korte zum Kunstobjekt verwandelt wurde. Dazu aber später.

In seiner 3D-Animation „Villa“ hat der Künstler die in den 60er-Jahren im südfranzösischen Antibes ursprünglich als Wohn- und Atelierhaus gebaute Fondation Hartung-Bergmann auf ihre plastische Grundstruktur reduziert, um den bemerkenswerten Schnitt des Baukörpers herauszuschälen, der auf die Entwürfe von Hartung selbst zurückgeht. Nur noch bedingt erkennbar, dass er von einer Architekturform abgeleitet ist, spielt Korte den tür- und fensterlosen Baukörper als autonome Form in den schwarzen virtuellen Raum ein und lässt ihn dort sich in verschiedenen Richtungen um seine Achsen bewegen, um jede Seite des neutralisierten Baukörpers sichtbar zu machen.

 

Um die Verquickung von Raum und Fläche, von Malerei und Architektur, von eigenem Selbstverständnis und der Projektion eines Anderen geht es bei dem zu einem Kunstobjekt gestalteten Tisch mit dem auf den Standort der Fondation Hartung verweisenden Titel „Antibes“, auf dem der Künstler geradezu folgerichtig seine 3D-Animation platziert hat.

Die Idee zu dieser Arbeit entstand bei Andreas Kortes erstem Besuch in meiner Galerie, deren räumliche Ausmaße und Strukturen er angesichts seiner bevorstehenden Ausstellung hier kennenlernen wollte. Wir saßen eine Weile an meinem Glastisch, bestehend aus einem Eiermann-Gestell als Unterbau und einer ungefärbten, transparenten Glasplatte, deren durchsichtige Fläche durch die Verstrebungen des Tischgestells eine je nach Blickwinkel veränderte Linarstruktur aufweist. Diese Eigen-schaft meines ehemaligen Galerietisches hat Andreas Korte aufgenommen und als Farbzeichnung aus in verschiedene Richtungen gerade verlaufenden Linien direkt auf der gläsernen Tischplatte umgesetzt. Die plastischen Linien des Metallgestells, die den Raum architektonisch durchkreuzen und durchwinkeln, treten nun in einen direkten, vielfältigen Dialog mit den Linien und dreieckigen Binnenzonen von Kortes Malerei auf der gläsernen Fläche. Der Linie als einem wesentlichen Kompositionsbestandteil in den Bildern Hans Hartungs huldigend, hat Korte sein eigenes Monogramm - die Form seiner Initialien sind wie geschaffen dafür – in den aus Senkrechten, Waagerechten und Diagonalen bestehenden Bildaufbau auf der Glasfläche diskret eingearbeitet, um damit einen Bogen zu schlagen von einer historischen Künstlergeschichte zu seiner eigenen.

 

„Fragmente für H.“ sind bewusst als Fragmente gefasst, weil sie ein zurückliegendes Künstlerleben aus subjektiver Sicht reflektieren und einzelne Aspekte daraus mittels einer ausgeprägt individuellen, freien Gestaltungsart in die eigene Zeit transferieren und zwar als Teil einer darüber hinausführenden, komplexen Beschäftigung mit dem Verhältnis von Historie und Zeitgenossenschaft.

 

Ein anderes Werk dieser Ausstellung, in dem sich Historie und Zeitgenossenschaft weniger inhaltlich als vielmehr formal in geradezu opulentem Auftritt miteinander verzahnen, ist das große Gemälde rechts vom Eingang in die Galerie mit dem Titel „Semi-Barock“. Es ist übrigens jene Arbeit des Künstlers, die ich als erste Arbeit überhaupt von ihm sah und sofort nachdrückliches Interesse für seine Malerei in mir auslöste. Frappierend war für mich die Kombination einer ins Monumentale getriebenen barocken Arabeske, deren Binnenbereich äußerst malerisch mit dick- und dünnflüssiger Farbkonsistenz in kraftvoll horizontal verlaufenden Pinselzügen ausgeführt ist, mit einem dazu kontrastierenden Fond aus zentralperspektivisch angelegten Strahlen kalter Blautöne mit äußerst graphischem Charakter. Verweist die barocke Form, selbst in modernistischer Gestaltung, auf ein Vergangenes, schleudert die geradezu technoide Erscheinung des blauen Strahlenbündels das Sujet nach vorne in die Gegenwart, ja Zukunft. Mit seiner immensen Sogwirkung in die Bildtiefe vermittelt dieses Gemälde höchstes Maß an Bewegung, mehr noch an Geschwindigkeit, so als ob sich das barocke Ornament auf einem Flug durch die Zeit befände. Hier kommt die „Faszination an der Geschwindigkeit elektronischer Bild- und Erlebniswelten, auch die Faszination an der Grenzenlosigkeit virtueller Raumvorstellungen“ zum Tragen, wie es Achim Hochdörfer, Kurator am Museum moderner Kunst in Wien, für die Bildwelt Andreas Kortes in einem Essay über dessen Arbeiten festzustellen weiß.

 

Mit seinen Bildtiteln nimmt es Andreas Korte ernst. Er zählt nicht zu jenen Künstlern, die mit dem Titel „Ohne Titel“ alles offen lassen oder „Titel“ wählen, die nur sie in der Lage sind, mit dem Bild in Verbindung zu bringen. Die Begriffe, mit denen Andreas Korte seine Bilder versieht, sind visuell umsetzbar, selbst in seinen noch so freien Kompositionen, auch wenn es sich um Wörter handelt wie „Noises“, den Plural von „Lärm“ im Englischen, den es eigentlich gar nicht gibt. Korte aber verwendet ihn für ein Gemälde, hier an der Wand links neben mir, in dem er mittels rot leuchtender Kurvaturen den Verlauf einer Melodie farbformal nachvollzieht, mit geometrischen Dreicksformen Pausen markiert und an amorphen Farbpartien diffuse Geräuschfelder im Dazwischen umschreibt.

 

Musik spielt in die Malerei des Künstlers hinein, architektonische Erfahrungen regeln und stiften Konstruktionsprinzipien seiner bildnerischen Inventionen, zu seinen bewegten Bildern, den Videos, erfindet er eine die Situation spezifizierende Musik. Umgekehrt werden Prinzipien der Malerei auf ihre Anwendbarkeit in anderen gestalterischen Genren und Techniken überprüft und schließlich zu einem differenzierten und komplexen Repertoire eines homo universalis von heute zusammengefasst – eines homo universalis, der zur Hälfte auch homo ludens sein und bleiben möchte, um spielerisch auszuloten bis zu welcher Grenze sich auch Widersprüchliches und Anachronistisches verknüpfen lassen - als Teil eines konstruktiven Suchprozesses nach authentischen Gestaltungsmöglichkeiten für die eigene Gegenwart. „Man muss etwas finden“, so erklärt sich Andreas Korte, „damit die Formensprache, die nicht unendlich ist, wieder frisch aussieht. Natürlich bleibt eine Linie eine Linie, eine Form eine Form, aber die Bedeutung verändert sich mit der Zeit.“

 

In seinem Porträt „Zeitgenosse“ aus dem Jahr 2010 charakterisiert sich die Physiognomie des Gesichts durch eine breite die Gesichtsform konturierende Linie, deren Anfang und Ende sich außerhalb der Bildgrenzen befinden und damit unbestimmt bleiben. Sie verläuft in vielerlei Windungen einmal vor und wieder zurück und modifiziert sich im Zentrum zu einem facettenreichen Strahlengebilde aus unterschiedlichen Farbtönen. Nehmen wir die Windungen dieser den Zeitgenossen charakterisierenden Linie als Symbol für Wege des Individuums nach vor und zurück und die Facettierung im Binnenbereich als ein vielfältiges Erkenntnisspektrum, so manifestiert sich hier in ikonenhafter Frontalität nochmal deutlich die Auffassung des Künstlers davon, was Zeitgenosse zu sein meint: Eine Identität, die ihr Selbstverständnis nicht über die Geradlinigkeit und Eindeutigkeit ihrer Erfahrungen und Prägungen bezieht, sondern gerade durch das Ineinanderwirken heterogener Bestandteile geistiger und physischer Existenz im alltäglichen Dasein.

 

Anja Rumig, Stuttgart, 2012

 

Overview